"Gaucho Gaucho“ist eine visuell atemberaubende Mischung aus Dokumenta-tion und nostalgischer Überhöhung über eine Viehhüter-Gemeinschaft in Argentinien.
In der Schule sitzt Guada mit Hose, weißem Hemd, Halstuch und schwarzer Kappe; dieSchuluniform lehnt sie mit unerschütterlicher Überzeugung ab: „Ich bin eine Gaucha, und dasist meine Tracht.“In „Gaucho Gaucho“ist es eine der wenigen Szenen, in denen der geschlos-sene Mikrokosmos der Gauchos mit dem Außen in Kontakt kommt. Die DokumentaristenMichael Dweck und Gregory Kershaw zeigen – oder vielmehr: feiern – in ihrem Film eineGaucho-Gemeinschaft in der Region Salta im Nordwesten von Argentinien. Während dieSchule trockene Theorie liefert, verwandelt sich der Alltag bei den berittenen Viehhütern ingelebte Erfahrung. Oder er findet Eingang in eine der zahlreichen abenteuerlichen Geschich-ten, denen man so gerne lauscht, wie man sie anderen weitererzählt.
Angesichts des drohenden Verlusts der Tradition der Gauchos werden Wissen und Handwerkunermüdlich an die nachfolgende Generation weitergegeben. Ein Vater zeigt seinem Sohn,wie man ein Messer schleift. Ein alter Mann mit langem weißem Bart lehrt ihn die Prinzipiender Gaucho-Identität. Schweigsam ist der Gaucho, sattelfest und geschickt darin, das Lassozu schwingen. Protz ist ihm fremd. „Ein echter Gaucho ist zufrieden mit dem, was er hat, undgönnt sich, was er will.“
"Gaucho Gaucho“versteht sich als Dokumentarfilm, sieht aber mehr aus wie ein konzeptuel-ler Western. Die weiten, wüstenartigen Ebenen der Valles Calchaquiés werden in atemberaubende Landschaftstableaus eingefangen. Und wenn die Gauchos mitwehenden Ponchos wie vom Teufel gejagt durch die Pampa galoppieren, scheint der Geisteines JohnFord-Films zu walten. Sobald die Reiter von ihrem Pferd gestiegen sind, kommt dieKamera zur Ruhe. Sie zeigt statische, meist frontale Einstellungen und dynamisierende Dia-gonalen durch leichte Untersichten: Alles in „Gaucho Gaucho“drängt Richtung Ikonizität.
Die Mischung aus Dokumentation und nostalgischer Überhöhung ist auch "Gaucho Gaucho“ eigen. Die Schwarz-Weiß-Bilder betonen die Archaik der Lebensweise und verleihen denmarkanten, von Wind und Wetter gezeichneten Gesichtern der Gauchos zusätzlich Ausdruck.Geradezu zeichenhaft wirkt das traditionelle Gewand aus Hemd, Wollponcho, weiten Bom-bachaHosen und Boina-Hüten. Schon die Kleinen tragen ein Messer am Ledergürtel. Auch der Mate-Becher mit dem Trinkrohr fehlt auf keinem Tisch.
Gefahren lauern in Gestalt von Andenkondoren, die mit ihrer eindrucksvollen Flügelspann-breite über der Herde kreisen. Die harten Dürren der Vergangenheit sind ebenfalls noch inlebendiger Erinnerung. Die größte Bedrohung aber liegt im Aussterben der eigenen Kultur.Viele Menschen ziehen weg; Familien werden zerstreut, heißt es in Gesprächen am Rande.Der Film aber zeigt keine Bruchlinien. Die Welt der Gauchos bleibt unbeschädigt. In der Logikvon "Gaucho Gaucho“bedeutet Konservieren allerdings mehr als Bewahren: Es dient derBeschwörung des Mythos.
"Gaucho Gaucho“, USA 2024 – Regie: Michael Dweck und Gregory Kershaw; 85 Minuten